2017-12-21 Der Jakobsweg – El Camino

Nie verirrt man sich so leicht wie dann, wenn man glaubt den Weg zu kennen

Pilgerweisheit

Viel wurde schon geschrieben über den spanischen Jakobsweg. Paolo Coello, Shirley MacLaine und spätestens seit der Veröffentlichung von HP Kerkelings Buch und Film „Ich bin dann mal weg“ gab es einen regelrechten Hype auf dem französischen Weg der in Saint-Jean Pied de Port in den Pyrenäen beginnt und quer durchs Land über Burgos und Leon nach Santiago de Compostela führt.

Durch die Popularität ist der französische Jakobsweg inzwischen sehr überlaufen und die meisten Pilger wählen beim zweiten Mal einen der weniger bekannten Jakobswege wie zum Beispiel: die Via de la Plata (Silberstrasse), die von Cádiz an der andalusischen Küste nach Santiago führt; den Küstenweg an der Nordküste Spaniens über Santander „del Norte“; den portugiesische Weg; den Primitivo etc.

Es gibt die Aussage, dass der Weg an sich schon ganz besonders sei, aufgrund erhöhter Schwingung, Energie und den vielen Kraftorten unterwegs. Für mich sind es auch die alten Kirchen und Kapellen und der Gedanke, dass auf den Pfaden, auf denen ich jetzt gehe, Tausende von Pilgern vor mir gegangen sind.

Dann ist da natürlich den Effekt des Gehens an sich, mit den biochemischen Vorgängen (Stoffwechsel wird beschleunigt, Herz/Kreislauf angeregt und Endorphine freigesetzt – ja, ja!).

Durch die Verlangsamung erlebe ich alles intensiver, die Wahrnehmung verändert sich, ich spüre meinen Körper (anfangs oft schmerzhaft), die scheinbar unerträgliche Last des Rucksacks.

Irgendwann, nach ein paar Tagen, habe ich meinen Laufrhythmus gefunden, ich setzte einen Fuß vor den anderen, ich gehe. Meine Gedanken, die anfangs noch viel mit dem Alltag zu Hause beschäftigt sind, beschränken sich mehr und mehr auf trinken, essen, schlafen, weitergehen. Ich erlebe, was sonst oft so schwierig ist, ich bin hier in der Gegenwart, ganz bei dem was ich gerade tue. Ich fühle alle Teile meines Körpers, liebe meine Füße, die mich schon so lange getragen haben und jetzt weiter tragen, mein Rucksack (meine Last) gehört zu mir, ich bin erfüllt von Dankbarkeit und Lebensfreude, fühle mich als Teil der Schöpfung, ich sehe alles klar, mein Herz singt, ich singe, kann den Menschen auf dem Weg mit Offenheit und Freundlichkeit begegnen, wir sind Weggefährten für eine Zeit.

Von den vielen Pilgern, die wir über die Jahre auf dem Weg getroffen haben, gab es kaum einen, der aus traditionell katholischen Glaubensgründen das Grab des heiligen Jakobus in Santiago aufsuchen wollte. Vielmehr sind es Menschen aus aller Welt, alle Altersgruppen, die hier unterwegs sind, jeder mit seiner ganz eigenen Geschichte. Oft, weil sich vorgegebene Pfade nicht mehr richtig anfühlen, mit dem Wunsch das eigene Hamsterrad einmal anzuhalten oder mit der Hoffnung Klarheit zu finden in einer Krise, vor einer großen Entscheidung, nach Burnout oder anderen körperlichen Einbrüchen. Und weil Körper, Geist und Seele untrennbar sind, geschieht es automatisch, dass die körperlichen Erfahrungen die beim Gehen gemacht werden, sich auf die geistige /seelische Ebene auswirken. Bei mir selbst war es damals Existenzangst, die sich beim Gehen auf dem Jakobsweg auflöste in der Erfahrung, wie wenig ich eigentlich brauche und wie einfach alles sein kann, wenn ich bereit bin loszulassen.

Ein gutes Beispiel ist das einer jungen Frau, die ich traf, die ihr 10 Monate altes Kind auf dem Rücken trug und ihrer beider Gepäck in einem Buggy schob oder zog. Die beiden waren schon fast drei Wochen unterwegs, etwas abgerissen aber in guter Stimmung. Sie erzählte mir, dass sie sich aufgemacht hatte aus Ratlosigkeit in einer schwierigen Trennungsphase. Auf dem Weg, beim Tragen ihres Kindes auf dem Rücken, zusammen mit dem Gepäck für beide, habe sie akzeptiert, dass sie die Verantwortung für ihrer beider Leben allein tragen wird, aber auch erfahren dürfen, dass sie in der Lage dazu ist. Die junge Frau war davon überzeugt, dass sie beim Gehen auf dem Camino diese Erkenntnis wirklich verinnerlicht hatte, allein durch die körperliche Erfahrung.

So viele Geschichten gibt es und die Menschen sind bereit, diese zu teilen.

Das ist erstaunlich und auch das macht den Camino für mich so besonders.

 

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